Titel
Reichsabtei und Klosterreform. Das Kloster St. Gallen unter dem Pfleger und Abt Ulrich Rösch 1457–1491


Autor(en)
Lenz, Philipp
Reihe
Monasterium Sancti Galli 6
Erschienen
St. Gallen 2014: Verlag am Klosterhof
Anzahl Seiten
Preis
URL
von
Claudia Sutter, Stadtarchiv, Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St. Gallen

Die vorliegende Monographie, die 2012 als Dissertation an der Universität Freiburg i. Ü. angenommen wurde, gliedert sich in drei Teile: In Teil 1 (30–119) werden zunächst die Visitationen, welchen sich das Kloster St. Gallen zwischen ca. 1417 und 1457 unterziehen musste, aus mehreren Perspektiven geschildert. Es schliesst ein Kapitel an, in welchem Ulrich Rösch als Person und in seiner Rolle im Konflikt um die Abtswürde vorgestellt wird. Dieser Konflikt endete mit der Absetzung des bisherigen Abts und der Erhebung Röschs auf den Thron des Fürstabts. Teil 2 (122–250) diskutiert sehr ausführlich die Verpflichtungen und Rechte der exemten Abtei gegenüber den verschiedenen weltlichen und geistlichen Mächten in ihrem Umfeld, bevor der Autor zur Beschreibung der Klostergebäude und deren Entwicklung übergeht. Im letzten und längsten Teil (252–503) werden zunächst das Amt des Abts, dann die einzelnen Ämter des Mönchskonvents mit den jeweiligen Rechten und Pflichten äusserst quellennah beschrieben. Es folgen Abhandlungen zu einzelnen kirchlichen Gebäuden sowie der Klosterbibliothek.

Nach den Worten des Autors ist der «Gegenstand dieser Studie [...] das Kloster St. Gallen unter dem Pfleger und Abt Ulrich Rösch» (15). Er stellt damit dem Leser eine äusserst facettenreiche Studie in Aussicht, lässt aber gleichzeitig eine klar formulierte Fragestellung vermissen. Lenz nimmt sich viel vor, wenn er «in einer ganzheitlichen und interdisziplinären Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand, welche die rechtlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und kulturellen Aspekte des Klosters einschliesst» (16), eingehen will. Dieses Vorhaben zwingt ihn, häufig den Ansatz und die Perspektive zu wechseln; der Leser erhält dadurch gelegentlich den Eindruck, eher eine Sammlung von Artikeln als eine in sich geschlossene Studie in Händen zu halten.

Der Autor hat sich fundiert mit der Materie auseinandergesetzt und hat effektiv die «in der Literatur vorherrschend[e] Trennung zwischen der weltlichen und der geistlichen Sphäre» (17) überwunden. Aus der beeindruckenden Fülle von Erkenntnissen, welche im Schlusskapitel (504–507) prägnant zusammengefasst werden, sind zwei Punkte hervorzuheben: Zum einen betrachtet Lenz das Kloster St. Gallen nicht als eine Insel, sondern bezieht dessen Umfeld in seine Studien mit ein. So kommt er zum einzig richtigen Schluss, dass trotz «einigen schweren, einschneidenden, mitunter bewaffneten Auseinandersetzungen die Zusammenarbeit und das friedliche Zusammenleben zwischen den Nachbarn» (506), d.h. zwischen Kloster und Stadt St. Gallen, vorherrschend war. Wirtschaftlich wie auch baulich (216–217, auch Karte, 197) waren die beiden Parteien während Jahrhunderten nicht strikt zu trennen. Zum anderen bringt Lenz endlich Klarheit in der Frage, ob Abt Rösch in den 1480erJahren eine neue Klosteranlage in Rorschach plante (233–248), welche bekanntlich 1489 von Stadt-St. Gallern, Appenzellern und Rheintalern zerstört wurde (233). Bisher wurde spekuliert, das Kloster wolle expandieren und Mariaberg in Rorschach solle zum zweiten Standort werden (250), oder der Abt wolle sein Kloster vollständig verlegen (243). Diesen Hypothesen hat Lenz nun ein Ende bereitet, indem er den Neubau in Rorschach eindeutig als Propstei identifiziert (247–248). Das stichhaltigste Argument ist wohl das Fehlen – bereits in der Planungsphase (234–237) – einer Kirche mit Chor, welche immerhin das «Herzstück eines jeden Benediktinerklosters» (243) war. «Die Klosteranlage bzw. die ‹Propstei› in Rorschach [hätte] vornehmlich wirtschaftliche, administrative, politische und allenfalls militärische Funktionen erfüllen» (247) sollen.

Bisher unbekannte Quellen, welche Lenz für seine Studie beizieht, hat er ediert. Diese aufwändige Arbeit ist dem Autor hoch anzurechnen. Es ist allerdings unverständlich, warum er die Edition einer kurzen Quelle in den Lauftext einbindet (32), wenn er den Quelleneditionen doch einen Anhang (510–585) zugesteht. Seine Sachkenntnis hat den Autor leider nicht davor bewahrt, inhaltliche Fehler zu begehen. So behauptet er, es sei im Mittelalter ausschliesslich möglich gewesen, in der Kirche am eigenen Wohnort Stiftungen zu tätigen (143 Anm. 109), obwohl bekannt ist, dass dem nicht so war (vgl. Stefan Sonderegger, Zum eigenen und zum Nutzen anderer. Gedenkstiftungen in hoch- und spätmittelalterlichen St. Galler Urkunden, in: Peter Erhart/Jakob Kuratli (Hg.), Bücher des Lebens – Lebendige Bücher, St. Gallen, Stiftsarchiv, 2010, 226–233, v.a. 229–230). Er räumt «Bürgermeister und Rat [von St. Gallen] bei wichtigen Finanztransaktionen [des Dominikanerinnenklosters St. Katharinen St. Gallen ein] Aufsichtsrecht» (321) ein, lässt dabei aber ausser Acht, dass grundsätzlich weder Frauen noch Klöster rechtlich selbstständig handlungsfähig und deshalb gezwungen waren, sich in weltlichen Angelegenheiten von einem Vogt vertreten zu lassen (vgl. Hans-Joachim Schmidt, Vogt, Vogtei, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. VIII, Sp. 1811–1814, v.a. Sp. 1811).

Die Publikation weist leider einige methodische Mängel auf. Es ist zwar sinnvoll, den Ausführungen zu den Bauten im St. Galler Stiftsbezirk Karten beizustellen (195–197, 222), jedoch sind diese für ortsunkundige Leser unverständlich, da den Karten Windrose wie auch Massstab fehlen. Lenzʼ Kritik an der älteren Literatur ist gerechtfertigt, denn die «Quellenangaben sind summarisch und mit überholten Signaturen versehen, sodass die entsprechenden Dokumente manchmal kaum oder nicht aufgefunden werden können, wodurch ein wichtiges Kriterium der Wissenschaftlichkeit, nämlich die Nachvollziehbarkeit, entfällt» (19). Er begeht jedoch denselben Fehler, wenn er auf das ‹Rote Buch› (105) oder das Wappenbuch Röschs (271) hinweist, aber deren Signaturen nicht nennt. Das zweitgenannte ist gar digitalisiert und seit Dezember 2008 auf der Plattform www.e-codices.unifr.ch/de einsehbar. Das bereits beachtliche Quellen und Literaturverzeichnis (599–631) wäre noch länger ausgefallen, wenn Lenz auch jene Titel aufgenommen hätte, auf welche er nur einmalig hinweist (Quellen z.B. 344; Literatur z.B. 127 Anm. 21). Zudem wäre der Platzanspruch der zahlreichen Anmerkungen zu verringern gewesen, indem der Autor auf Exkurse (z.B. 60–61 Anm. 128) und Urkundentranskriptionen (z.B. 171–172 Anm. 234–236, 238) verzichtet hätte. Eine durchgreifende Überarbeitung des Textes für die Drucklegung wäre sicherlich ein Gewinn gewesen.

Trotz den erwähnten methodischen und inhaltlichen Unzulänglichkeiten ist Lenzʼ Dissertation ein wichtiger Beitrag zur Forschung zum spätmittelalterlichen Benediktinerkloster St. Gallen.

Zitierweise:
Claudia Sutter: Rezension zu: Philipp Lenz, Reichsabtei und Klosterreform. Das Kloster St. Gallen unter dem Pfleger und Abt Ulrich Rösch 1457–1491, St. Gallen (= Monasterium Sancti Galli 6), St. Gallen, Verlag am Klosterhof, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 395-396.

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